Clubs rechnen sich immer weniger

Billigalkohol vom Kiosk macht den Läden auf der Reeperbahn das Leben schwer
Freitag, 01.12.2017 | 13:52
Die Reeperbahn in St. Pauli
dpa Die Reeperbahn in St. Pauli

So kennt man Hamburgs Reeperbahn: Laute Musik aus Boxen, bunte Schilder, Alkoholmischgetränke zu Billigpreisen und grölende Menschentrauben bis tief in die Nacht. Aber hinter den Kulissen grummelt es. Die „sündige Meile“ hat sich gewandelt: Wo einst hauptsächlich Hafenspelunken, Striptease-Bars und Clubs das Stadtbild prägten, gibt es jetzt einen Kiosk fast an jeder Ecke.

58 Stück hat Norman Cordes, Sprecher des Bezirksamts Mitte, im gesamten Stadtteil gezählt. Für die anderen Gewerbetreibenden ist dies ein Riesenproblem. „Allein bei uns in der Davidstraße gibt es sieben Kioske“, berichtet eine Barkeeperin aus der Kultkneipe „Zum Anker“.

Anstatt bei ihr am Tresen zu bestellen, würden viele Feierwütige Bier und Schnaps am Kiosk kaufen und die Bars und Clubs lediglich als Toiletten und Tanzflächen nutzen. Die „sündige Meile“ droht ihren Charme zu verlieren – da sind sich die alteingesessenen St. Paulianer einig.

Vor allem kleine Läden hätten es schwer, kritisiert Quartiersmanagerin Julia Staron vom Business Improvement District (BID) Reeperbahn. Bei den günstigen Getränkepreisen an den Kiosken könnten viele Betriebe nicht mithalten. Während die Gastronomen strenge Auflagen erfüllen und etwa Toiletten zur Verfügung stellen müssen, gilt dies für Kioske nicht.

Anwohner: „Es stinkt zum Himmel“

„Nicht nur wir Gastronomen, sondern auch die Anwohner sind betroffen“, meint Christian Fong, Chef der bekannten Table-Dance-Bar „Dollhouse“ auf der Großen Freiheit. Anwohner Falk, der seit mehr als zwanzig Jahren im Stadtteil lebt, sagt, er habe nie ein Problem mit der Lautstärke in dem lebhaften Viertel gehabt.

„Doch mittlerweile ist es unerträglich. Nun komme ich teilweise kaum mehr in meine Wohnung hinein, weil immer eine Gruppe Betrunkener im Hauseingang herumsitzt“, berichtet der 44-Jährige. „Außerdem wird überall hingepinkelt. Es stinkt zum Himmel“.

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Auch zunehmende Vermüllung ist laut Quartiermanagerin Staron ein Problem, da Getränke in Einweg-Plastikbechern herausgegeben würden. Dem habe man jedoch schon in Teilen Einhalt gebieten können. „Um dem Müllproblem entgegenzuwirken, haben wir mehr Mülleimer aufgestellt und diese auffälliger gestaltet“, sagt sie.

Die Auslage eines Kiosks
dpa Die Auslage eines Kiosks

Bezirksamt will gegen Missstände vorgehen

Viele Gewerbetreibende schlagen Alarm: Billig-Fusel fördert die Gewaltbereitschaft, meinen sie. Die Polizei stellt jedoch fest, es gebe gar „keinen Anstieg an Gewaltdelikten im Stadtteil“. Dass die „sündige Meile“ ein Problem hat, will das Bezirksamt auch bereits vor längerem erkannt haben.

Sprecher Cordes meint, es sei grundsätzlich positiv, dass das Gaststätten- und Ladenöffnungsrecht liberalisiert worden sei. Aber es habe der öffentlichen Verwaltung Werkzeuge genommen, um in besonderen Einzelfällen gegen erkannte Missstände vorgehen zu können.

Sein Chef Falko Droßmann (SPD) arbeite daher bereits an einem entsprechenden Gesetzesentwurf, um den Alkoholausschank an Kiosken in betroffenen Stadtteilen einzuschränken.

Kiosk als Anlaufstelle für Anwohner

Doch nicht alle Kioske sind verpönt: Der in der Davidstraße ist langem Anlaufstelle für die Anwohner. Für ihn sei die zunehmende Konkurrenz kaum spürbar, da er hauptsächlich Stammkunden habe, tröstet sich der Ladenbesitzer. Und ein Student nickt: „Hier ist es einfach billiger. Vom Bafög und meinem geringen Nebenverdienst kann ich sonst kaum am kulturellen Leben teilhaben“, moniert er.

Für die Beschwerden der Anwohner hat er kein Verständnis. „Wer auf St. Pauli wohnt, muss damit rechnen, dass es hier laut ist“, sagt er mit einem Schulterzucken und nimmt einen Schluck aus seinem Plastikbecher.

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